Montag, 26. November 2007

Tabasco im Sumpf


Tabasco wurde von Wochen von Überschwemmungen heimgesucht und hockt immer noch im Siff. Das Wasser geht nur langsam zurück. Und die Regenzeit ist noch lange nicht vorbei, immer wieder regnet es in den zu einem einzigen See gewordenen Staat hinein.


Gleich nach Ausbruch der Katastrophe machte der Präsident den Klimawandel für das Desaster verantwortlich. Ein geschickter Zug, weil er somit lästern kann, ohne eine andere Partei oder gar seine eigene zu beleidigen! Auch der Gouverneur von Tabasco hatte sich geäussert, wobei ich vergessen habe, was der gesagt hat. Fakt ist, dass alle beide versagt haben. Obwohl das Gebiet regelmässig von Überschwemmungen heimgesucht wird, bestand kein Evakuationsplan oder sonstige Massnahmen.



Reagiert wurde erst, nachdem den Leuten das Wasser bis zum Halse stand. Dies, nachdem es bereits eine Woche lang geregnet hatte und das Resultat abschätzbar war.
Zum Glück gibt es auch die andere Seite: Die grosse Solidarität der Mexikaner, wenn es darum geht, ihren Landsmannen zu helfen. Am ersten Wochendende der Überschwemmung ging ich mit meinem Rucksäckli voller Milchpulver und Thonbüchsen zum Roten Kreuz und sah, wie ganze Autoladungen voller Lebensmittel gespendet wurden. Viele Freiwillige hatten sich gemeldet, um die Sachen zu sortieren, verpacken und verladen und es herrschte ein hektisches Treiben (völlig unüblich für Mexico...). Während ich meine Föteli schoss, musste ich aufpassen, dass ich von den eifrigen Helfern nicht überrannt wurde...

Aufgrund der Unfähigkeit der Regierung sind die Überschwemmungsgebiete, in denen über 1 Mio Personen betroffen sind, auf Hilfe angewiesen. Falls jemand ein schlechtes Gewissen hat, weil er um Weihnachten nur kommerzielle spenden macht, hier ein netter Link.

Dienstag, 20. November 2007

Gringophobie

Text für Sihltaler vom 17.11.07

Ich merkte es an meinem ersten Arbeitstag in Mexico: das adjektiv “amerikanisch” wird in Mexico nicht gebraucht. Stattdessen wurde es irgendwann durch den Ausdruck gringo, ersetzt, welcher seither als ebenbürtiges Synonym verwendet wird, ausser in dem einzigen Fall, wenn man direkt mit einem Amerikaner spricht.

Wenn etwas gringo ist, dann immer im negativen Sinn. Noch nie sagte man mir: “Flurina, das ist aber sehr gringo,” um mich damit zu loben.

Nein, Mexikaner mögen ihre nördlichen Nachbarn nicht sonderlich und trotzdem zwingt sie die Armut, ausgerechnet dieses Land in Massen anzusteuern. Dies ist nicht die einzige Ironie in der Beziehung der beiden Länder. Ist Mexiko doch wirtschaftlich extrem von den “Gringos” abhängig und muss sich bemühen, eine gute Beziehung mit dem unbeliebten Nachbarn zu pflegen. Nicht nur bezüglich der Handelsbeziehungen sind die USA wichtigster Partner. Längst sind die Geldsendungen von den in den Staaten arbeitenden Mexikanern an ihre Familien zum zweitwichtigsten Einkommenszweig des Landes geworden.

Wer nun denkt, dies hätte ja keinen Einfluss auf eine eingewanderte Europäerin hat weit gefehlt.

So merken wir gar nicht, wie sehr die amerikanische Kultur sich tief in unseren Alltag eingeschlichen hat: “Shit!” entfiel es mir unbeabsichtigt als ich einst beim Essen kleckerte. “Was hast du eben gesagt?” kriegte ich unmittelbar zu hören. Ich zuckte zusammen, als hätte man mich gerade dabei ertappt, wie ich auf das Bild der heiligen Guadalupe spuckte. “Bitte vergebt mir”, stotterte ich noch mit vollem Mund, “ich werde den Gringoausruck nie mehr verwenden!” Jedes einzelne Wort englischen Ursprungs musste ich in der Folge aus meinem Vokabular streichen! Doch man kann dies nicht einfach ersatzlos tun, sondern muss für jeden eliminierten Ausdruck einen neuen, nichtenglischen, finden. Ersatz musste ich mir nicht nur für meine Gringoschimpfwörter aus der Nase ziehen, sondern auch für Gringoerstaunenswörter, Gringobestätigungswörter, Gringoeuphoriewörter, ganz zu schweigen von all den Gringoabkürzungen, die wir ständig gebrauchen.

Doch nicht nur meinen Alltagswortschatz musste ich komplett umwälzen – so gilt jegliche Annäherung an die angelsächsische Lebensweise bereits als Verrat an meinem mexikanischen Umfeld. Gestrichen also meine gemütlichen Stunden im Ami-Café Starbucks, nur ausnahmsweises Einkaufen in der amerikanischen Supermarktkette und Frauenzeitschriften in englischer Sprache, kaufe ich nur heimlich und verstecke sie unter dem Bett, als seien es verbotene Pornomagazine.

Die Fronten sind klar: Mit keiner auch noch so netten Geste von Seiten des Gringolandes wird man es schaffen, die Mexikaner gegenüber den Amerikanern gütig zu stimmen. Und so bemerke ich an mir, dass die mexikanische Haltung sich bereits unweigerlich auch in meine Denkweise einschleicht.

Und doch scheint es Hoffnung zu geben am mexikanisch-amerikanischen Horizont: Zeigte doch einer meiner Kollegen neulich Interesse an den Zusammenkünften meines Ausländerclubs. Solange sie gut aussehe, würde er sich ausnahmsweise auch mit einer Gringa unterhalten.

Donnerstag, 8. November 2007

Telefonkultur

Flurina: Wisst ihr, dass man in der Schweiz den Namen sagt, wenn man das Telefon abnimmt?
Victor: Wie? dann sagst du einfach "Victor" oder "Flurina" oder so?
Flurina: Genau! oder deinen Nachnahmen!
Cheque: Das ist doch völlig unnötig! Die Leute wissen doch, dass du dran sein wirst, wenn sie dich anrufen!
Victor: Und wie meldest du dich, wenn du nicht zu Hause bist, sondern im Büro?
Flurina: Dann sagst du "INICIA Victor" oder "INICIA Mendoza" oder "INICIA Victor Mendoza"
Victor: Ach waaaaas! Was sagst du denn, wenn du das Telefon bei jemand anderem zu Hause abnimmst?
Flurina: Dann sage ich "Dünki bei Mendoza"
Victor: Wirklich? Das ist ja so lächerlich, das kann ich gar nicht glauben!
Flurina: Lustig wird es, wenn du zB bei deinen Eltern das Telefon abnimmst. Dann sagst du "Mendoza bei Mendoza".
Victor: Also den Bären bindest du mir nicht auf! das glaube ich dir nie und nimmer!
Flurina: Es ist so, glaube mir!
Victor: Die dort drüben sind einfach zu reich! Wie sonst könnte ihnen so etwas einfallen?

Freitag, 2. November 2007

Miau

Als der Ausländer-in-Mexico-Club das monatliche Treffen auf den 31. Oktober ansetzte, ahnte ich schon was. Und tatsächlich! Eine Woche vor dem Treffen wurden alle kommenden aufgefordert, Halloween-gerecht in Verkleidung zu kommen.


Nun sollte man in Mexico dieses importierte Gringo-Fest, das absolut nichts mit der mexikanischen Kultur zu tun hat und aus reinen merchandize-Gründen ins Land gebracht wurde (gleich wie bei uns, nur, dass der Coop die Halloween Artikel in der Fasnachtszeit erneut zum Kauf anbietet) NICHT fördern.

Aber diesmal siegte meine Lust am Verkleiden über das, was man in Mexico tut und was nicht.



Bei meiner letzten Kostümparty hatte ich kein Katzenkostüm gefunden, weshalb ich am Ende halt als Teufelchen ging. Diesmal aber sollte ich meine Katze kriegen! Für einen Wucherpreis von 8Fr. (ich esse 2 mal zu Mittag für dieses Geld!!!) erstand ich ein Set von Katzenohren und - Schwanz. Mehr wollte ich auch gar nicht, wusste ich doch nicht, wie viele der Aufforderung nach Verkleidung tatsächlich nachkamen.

Jesús, der mich abholte, kam dann auch direkt von der Arbeit und somit ungeschmückt (neckisch wäre ja Jesús verkleidet als Jesus gewesen... na ja)


Die Tatsache, dass wir einen Freund von Jesús im Stadtzentrum aufpickten nützte mein Chauffeur, um mir das kulturelle Erbe näherzubringen. Das Monument der Revolution, wo wir Juan aufpicken würden, sollte ich aber nicht nur von Auto aus bewundern. Komm, steig aus und siehe das Ganze von nahem! Ich kann nicht aussteigen! Ich bin eine Katze! Aaaaach, komm schon, du musst es von der Nähe betrachten.


Was konnte auch schon passieren? Schliesslich kannte mich niemand hier! Ausserdem war es schon dunkel, wer sollte schon so genau hinschauen?

Alle. Kaum waren wir ausgestiegen, schienen alle auf mich zu schauen. Kinder zeigten auf mich, Männer pfiffen mir nach, Pärchen unterbrachen ihr Geturtel.

Als Juan endlich auftauchte, sollten mich sämtliche Besucher des Revolutionsmonuments gemustert (und belacht) haben.

Doch wenn ich dachte, ich hätte meine Blamage damit überstanden, hatte ich mich zu früh gefreut.




Wir fuhren die Strasse 3 Mal hinauf und hinab, wir fanden einfach unser Restaurant nicht! Juan bemühte sich, jeden Fussgänger nach der Lokation zu fragen, doch wie erwartet, war der Ausländer-Treff viel zu posh, um unter normalen Leuten bekannt zu sein.


Als Mitfahrerin hatte ich es nicht für nötig gehalten, mir die genaue Adresse zu merken. Leider fühlte sich Jesús als Fahrer ebensowenig verpflichtet.




Wir parkten schliesslich irgendwo, weil die Männer überzeugt waren, dass wir unser Ziel zu Fuss eher finden würden. Genau, was ich wollte: als Katze im versnobten Stadtteil Polanco herumschleichen, ohne zu wissen, in welcher Richtung wir suchen sollten.




Glücklicherweise hatte die Suche bald einmal ein Ende und wir stiessen


ENDLICH zu unserem Grüppchen. Jesús war glücklich, weil er gerne neue Nichtmexikaner kennenlernte, Juan war glücklich, weil er seinen alten Kumpel Gary wiedersah und ich war am glücklichsten: ich traf auf Kostümierte und war kein Freak mehr...




Es gaht en chüele Wind...



...und alli leget d'Händsche a....




...au wänns im Huus drin sind!
Wenn immer sich meine Arbeitskollegen auf ein Drittweltland bezogen, wenn sie von ihrem Land sprachen, protestierte ich scharf! Kochen mit Gas? gibts bei uns auch! Korruption? Gibts überall! Wohlstandsgefälle? Russland nennt sich deswegen nicht Drittweltland!
Und dann kam er. Ein Temperatursturz von Sommer auf Winter, den ich bisher in dem Ausmasse nur in den tückischen engadiner Bergen erlebt hatte. Nun, einmal musste der Winter ja kommen, halb so schlimm! Doch etwas war anders, als im schweizer Winter. Was nur? mochte es die Tatsache sein, dass ich bereits mitten im Büro stand aber keinen Temperaturanstieg zu Draussen merkte???
Der Schock traf tief! Keine Heizungen, keine Isolation, keine Heizöfeli! Dem nicht genug, die Kollegen öffneten gewohnheitsmässig alle Türen und Fenster, wie wir es in der warmen Jahreszeit zu tun pflegten.
Ja hatte denn niemand ausser mir bemerkt, dass über Nacht der Winter Einzug hielt???
Natürlich hatten sie das. Und reagierten mit den Massnahmen, die man in Mexico eben ergreift: Sie zogen Jacke und Handschuhe gar nicht erst aus.
Ich vergass für einen Sekundenanteil alle diplomatische Vorsicht, jeglichen Anstand, verlor mein ganzes Anpassungstalent indem ich schrie: Mexico IST ein Drittweltland!!
Sie verziehen mir, dachten sie das doch schon lange. Allerdings wohl nicht aus den gleichen Gründen wie ich. Stattdessen wunderten sie sich, was dieses Bergmeitli für einen Aufstand veranstaltete, nur weil es ein paar Grad kälter war als eben noch.
Ich gab auf. An alles Bisherige konnte ich mich seit meiner Ankunft anpassen, verklemmte mir jeglichen verwöhnte-Europäerin-Kommentar und hielt alles wacker durch. Das jedoch war zuviel. Mit Fingerlosen Handschuhen tippen, während mir die Klüppli abfrohren? Den Nasenspitz nicht mehr spühren? Die Zunge am Kaffeelöffel anfrieren?
Ohne zweimal zu überlegen rauschte ich aus dem Büro. Nein, nicht auf den Flughafen. Zuerst reichte es 3 U-Bahnstationen bis zum Wal Mart, wo ich den effizientesten Heizer erstand, den ich finden konnte.
Seither werde ich aufgezogen, dass ich mein Öfeli nicht teilen wolle. Mein Angebot, den lieben Kollegen auch eines zu kaufen, lehnen sie jedoch strickte ab, indem sie konsequent die harten Jungs und Mädchen mimen.
Bleibt nur noch ein Problem: Wie komme ich zur Kaffeemaschine, ohne meinen erwärmten Bereich zu verlassen...?