Text für Sihltaler vom 17.11.07
Ich merkte es an meinem ersten Arbeitstag in Mexico: das adjektiv “amerikanisch” wird in Mexico nicht gebraucht. Stattdessen wurde es irgendwann durch den Ausdruck gringo, ersetzt, welcher seither als ebenbürtiges Synonym verwendet wird, ausser in dem einzigen Fall, wenn man direkt mit einem Amerikaner spricht.
Wenn etwas gringo ist, dann immer im negativen Sinn. Noch nie sagte man mir: “Flurina, das ist aber sehr gringo,” um mich damit zu loben.
Nein, Mexikaner mögen ihre nördlichen Nachbarn nicht sonderlich und trotzdem zwingt sie die Armut, ausgerechnet dieses Land in Massen anzusteuern. Dies ist nicht die einzige Ironie in der Beziehung der beiden Länder. Ist Mexiko doch wirtschaftlich extrem von den “Gringos” abhängig und muss sich bemühen, eine gute Beziehung mit dem unbeliebten Nachbarn zu pflegen. Nicht nur bezüglich der Handelsbeziehungen sind die USA wichtigster Partner. Längst sind die Geldsendungen von den in den Staaten arbeitenden Mexikanern an ihre Familien zum zweitwichtigsten Einkommenszweig des Landes geworden.
Wer nun denkt, dies hätte ja keinen Einfluss auf eine eingewanderte Europäerin hat weit gefehlt.
So merken wir gar nicht, wie sehr die amerikanische Kultur sich tief in unseren Alltag eingeschlichen hat: “Shit!” entfiel es mir unbeabsichtigt als ich einst beim Essen kleckerte. “Was hast du eben gesagt?” kriegte ich unmittelbar zu hören. Ich zuckte zusammen, als hätte man mich gerade dabei ertappt, wie ich auf das Bild der heiligen Guadalupe spuckte. “Bitte vergebt mir”, stotterte ich noch mit vollem Mund, “ich werde den Gringoausruck nie mehr verwenden!” Jedes einzelne Wort englischen Ursprungs musste ich in der Folge aus meinem Vokabular streichen! Doch man kann dies nicht einfach ersatzlos tun, sondern muss für jeden eliminierten Ausdruck einen neuen, nichtenglischen, finden. Ersatz musste ich mir nicht nur für meine Gringoschimpfwörter aus der Nase ziehen, sondern auch für Gringoerstaunenswörter, Gringobestätigungswörter, Gringoeuphoriewörter, ganz zu schweigen von all den Gringoabkürzungen, die wir ständig gebrauchen.
Doch nicht nur meinen Alltagswortschatz musste ich komplett umwälzen – so gilt jegliche Annäherung an die angelsächsische Lebensweise bereits als Verrat an meinem mexikanischen Umfeld. Gestrichen also meine gemütlichen Stunden im Ami-Café Starbucks, nur ausnahmsweises Einkaufen in der amerikanischen Supermarktkette und Frauenzeitschriften in englischer Sprache, kaufe ich nur heimlich und verstecke sie unter dem Bett, als seien es verbotene Pornomagazine.
Die Fronten sind klar: Mit keiner auch noch so netten Geste von Seiten des Gringolandes wird man es schaffen, die Mexikaner gegenüber den Amerikanern gütig zu stimmen. Und so bemerke ich an mir, dass die mexikanische Haltung sich bereits unweigerlich auch in meine Denkweise einschleicht.
Und doch scheint es Hoffnung zu geben am mexikanisch-amerikanischen Horizont: Zeigte doch einer meiner Kollegen neulich Interesse an den Zusammenkünften meines Ausländerclubs. Solange sie gut aussehe, würde er sich ausnahmsweise auch mit einer Gringa unterhalten.