Dienstag, 8. Januar 2008

Gringolandia

Ich brauchte schon eine gute Erklärung für meinen US-Besuch über Weihnachten. Weshalb in aller Welt reist jemand nach Gringolandia?? Zum Glück war mein Grund einleuchtend: Besuch bei Argentiniern, die im Mexikaner-Viertel in LA wohnen... Nein, obiges Foto ist nicht ihr Haus. Das gehört einem Hardcore-Gringo... Genau hinschauen: im Hintergrund keine Samichläuse, sondern Adam-Statuen (!)
Fighting Christmas: Natürlich feierten wir im grossen argentinischen Kreise, doch die Kinder hatten zum Glück amerikanisches Spielzeug...
Von Mexico bin ich zwar schon einiges von gefährlichem Strasseüberqueren gewohnt, aber es ist trotzdem nett, dass man in LA dafür eine Anweissung bekommt!

Draufgehauen!

2 Wochen vor Weihnachten finden überall die Posada-Essen statt, welche damit enden, dass man die Piñata zerschlägt, aus der dann viele Leckerli fallen. So eine Art Samichlaus zum verhauen.
Gibt es in Mexico auch Weihnachten? Wurde ich von vielen gefragt. Ja, meine lieben! Ist die katholische Kirche doch einer der Hauptimporte der spanischen Eroberer!
Ich kann nicht sicher sagen, ob die Indios Weihnachten ebenfalls feiern, aber ich könnte fast darauf wetten, da sich ihre Naturreligionen mit der Zeit mit dem Katholizismus vermischt hat.

Schade, dass das Piñata-verhauen Kindersache ist. Hätte ich doch gerne auch mitgemacht... Statt dessen feuern die Zuschauer den Hauenden kräftig an mit einem Liedli, dessen Text ich nicht mehr vollständig hergeben kann:

... Ya te toca uno! Ya te tocan dos! Ya te tocan tres y tu tiempo se acabó!

Von unserem Liedli wurden weitere Kinder von draussen angezogen, welche wir umgehend ebenfalls zur Piñata einluden!



Alle von uns brachten ein Bestandteil des Essens mit. Mir wurden zuerst die Getränke aufgetragen. Dann wurde die Liste jedoch revidiert und Dessert hingeschrieben. "Wir wollen dein Schoggimousse!!!"

Tippen mit Handschuhen

Text für "Sihltaler", Dez. 07

Mexico City sei einer der besten Orte zum wohnen, sagte man mir einst. Nie sei es hier drückend heiss und nie werde es wirklich kalt.

So konnte ich den Winter also getrost kommen lassen. Endlich ein Winter ohne rote Nase, ohne gefrorene Füsse und ohne steife Finger!

Anfangs Oktober nahmen die Supermärkte eine grosse Auswahl von Elektroheizern in ihr Sortiment auf, worüber ich nur lachen konnte. Auch boten immer mehr Strassenhändler Schals und Handschuhe an. So ein bisschen Temperatursenkung konnte eine frostgewohnte Schweizerin natürlich nicht umhauen. Ich lief weiterhin in meinem dünnen Jäckchen und Sommerschuhen umher.

Bis auf jenen Morgen. Jenen Tag, der mich bezüglich mexikanischem Klima neu belehren sollte. Der mich tief beschämen sollte, bedenke man, dass ich mich über die Kältevorkehrungen der Mexikaner lustig gemacht hatte. Der Morgen, als das Thermometer über Nacht um 15 Grad gesunken war.

Erst sollte ich gar nicht realisieren, was geschehen war. Draussen wehte ein etwas kühlerer Wind, na und? Erst als ich ins Büro trat, vermisste ich etwas. Ich erwartete diesen Schwall von warmer Luft, der einem umhüllt, sobald man im Winter ein Gebäude betritt und der einem dazu veranlasst, sofort den warmen Mantel auszuziehen. Ich wartete, doch nichts dergleichen geschah. Erst jetzt realisierte ich, dass wir über keinerlei Heizkörper verfügten und durch die zahlreichen Öffnungen und Ritzen unserer Bürowände strömte eiskalte Luft herein.

Der Situation gemäss hatten meine Kollegen ihre Jacken gar nicht erst ausgezogen. Sie trugen Handschuhe, welche die Fingerspitzen freiliessen, damit sie die Tastatur bedienen konnten. Regelmässig hauchten sie die Finger an, damit diese nicht einfroren. Die Hysterie ihrer schweizer Importkollegin, welche wegen ein paar Grad weniger ganz aus dem Häuschen war, konnten sie nicht verstehen. War es in der Schweiz nicht noch viel kälter als hier? Stattdessen wunderten sie sich ob meiner leichten Garderobe. War es doch selbstverständlich, dass man im Winter mindestens zwei Pullover plus Jacke anzog, damit man im Haus nicht friere.

Das Phänomen zeigte sich nicht nur bei mir im Büro. Überall beobachtete ich, wie die Leute drinnen wie draussen gleich angezogen waren. Der Supermarktkassierer trug Mütze und Schal, der Bäcker hatte Handschuhe an und die Ticketverkäuferin der U-Bahn war derart vermummt, dass man kaum ihr Gesicht sehen konnte.

Ich hatte ausgelacht. Stattdessen wurde umso mehr über mich gelacht, als ich panikartig die getürmten Elektroheizer im Supermarkt ansteuerte und tüchtig zugriff. Als ich meinen Büroplatz in eine wohlig warme Oase verwandelte, konnten die anderen nur den Kopf schütteln. Wer hätte gedacht, dass die chica aus dem Heidiland wegen dem bisschen Kälte solch ein Drama veranstaltet?

Vielleicht waren wir Schweizer einfach zu wenig abgehärtet. Oder vielleicht hat folgende Eigenschaft, die man den Latinos nachsagt, damit zu tun:

In Mexikos Adern fliesst heisses Blut,
den Schweizern das nicht schaden tut.

Jetzt schon?

Text für "Sihltaler", Dez. 07

Im Januar steht sie vor der Tür: Die langerwartete Hochzeit unserer Kollegin Hortensia. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange, die Einladungen schon vor Monaten verschickt, die Braut bereit für die letzte Anprobe. Von wegen. Hier unten geht man die Sachen etwas lockerer an. Das Ereignis ist schliesslich noch Wochen entfernt, auch wenn es nur wenige sind, da bleibt immer noch Zeit, um alles zu arrangieren. Die einzige nervöse Person scheine allein ich zu sein. Ständig will ich von Hortensia wissen, ob sie das Brautkleid bereits hat, welche Frisur sie tragen wird und ob das Menu bereits feststeht. Aufgeregt blättere ich in der Agenda und berechne, wie viel Zeit mir noch bleibt, um meine eigenen Vorbereitungen zu treffen. Die Braut selber ist da um einiges weniger in Eile. Nach einem Kleid hat sie noch nicht gesucht, der Friseur ist noch nicht gebucht und das Ziel der Hochzeitsreise ist noch unbekannt.

Auch die anderen Kollegen scheinen meine Nervosität nicht zu teilen. „Stell Dir vor“, sagten sie neulich zu Hortensia, „Deine Hochzeit ist im Januar und Flurina will JETZT SCHON nach einem Kleid suchen!“ Meine Voraussicht sorgt allgemein für Gelächter, während mich umgekehrt die ruhige Haltung der anderen umso mehr in Panik stürzt.

Obwohl ich mich bemühe, mich ebenso spontan wie die Mexikaner zu geben, muss ich mich dennoch regelmässig als pingeliger Vorausplaner outen, womit ich jedes Mal auf allgemeines Unverständnis stosse.

Das von unserer Organisation veranstaltete Menschenrechtsforum war eine wahre Bewährungsprobe für mich. 24 Stunden vor dem Ereignis war der Saal noch kaum eingerichtet. Zu tun gab es nichts, es fehlte das richtige Material, die entsprechende Person oder sonst etwas. Mir war gar nicht wohl und ich suchte verzweifelt nach einer Beschäftigung, damit ich wenigstens das Gefühl hatte, die Vorbereitungen voranzutreiben.

Eine halbe Stunde vor Türöffnung fehlten Beleuchtung, Wegweiser und Beschriftung. Alle gingen ruhig ihrer Aufgabe nach, nur ich sauste von einem Raum in den anderen und stand kurz vor der Hyperventilation. Immerhin hatte ich es soweit geschafft, dass man mir das nicht mehr anmerkte. Als die ersten Gäste kamen, war gerade mal die Bar einsatzbereit. Aber mehr erwarteten diese wohl auch nicht.

Diese Art von Spontanorganisation macht auch von obersten Rängen nicht halt.
„Los, gehen wir“, forderte mich unser Chef Héctor auf, indem er sich bereits die Jacke überzog und mit einem Fuss im Treppenhaus stand. Kurz zuvor hatte er mich während des Mittagessens nebenbei gefragt, ob ich ihn zur Universität begleitete, wobei ich überhört hatte, dass unser Ausflug noch am selben Tag stattfinden sollte.
Dank meinem eisernen Spontanitätstraining bin ich jedoch inzwischen durch solche Aktionen nicht mehr aus der Ruhe zu bringen. Trotzdem, den mexikanischen Gelassenheitslevel habe ich noch nicht erreicht: Für die Hochzeit besitze ich bereits die gesamte Ausstattung und bin damit Gästen und Brautpaar um Wochen voraus.