Text für "Sihltaler", Dez. 07
Im Januar steht sie vor der Tür: Die langerwartete Hochzeit unserer Kollegin Hortensia. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange, die Einladungen schon vor Monaten verschickt, die Braut bereit für die letzte Anprobe. Von wegen. Hier unten geht man die Sachen etwas lockerer an. Das Ereignis ist schliesslich noch Wochen entfernt, auch wenn es nur wenige sind, da bleibt immer noch Zeit, um alles zu arrangieren. Die einzige nervöse Person scheine allein ich zu sein. Ständig will ich von Hortensia wissen, ob sie das Brautkleid bereits hat, welche Frisur sie tragen wird und ob das Menu bereits feststeht. Aufgeregt blättere ich in der Agenda und berechne, wie viel Zeit mir noch bleibt, um meine eigenen Vorbereitungen zu treffen. Die Braut selber ist da um einiges weniger in Eile. Nach einem Kleid hat sie noch nicht gesucht, der Friseur ist noch nicht gebucht und das Ziel der Hochzeitsreise ist noch unbekannt.
Auch die anderen Kollegen scheinen meine Nervosität nicht zu teilen. „Stell Dir vor“, sagten sie neulich zu Hortensia, „Deine Hochzeit ist im Januar und Flurina will JETZT SCHON nach einem Kleid suchen!“ Meine Voraussicht sorgt allgemein für Gelächter, während mich umgekehrt die ruhige Haltung der anderen umso mehr in Panik stürzt.
Obwohl ich mich bemühe, mich ebenso spontan wie die Mexikaner zu geben, muss ich mich dennoch regelmässig als pingeliger Vorausplaner outen, womit ich jedes Mal auf allgemeines Unverständnis stosse.
Das von unserer Organisation veranstaltete Menschenrechtsforum war eine wahre Bewährungsprobe für mich. 24 Stunden vor dem Ereignis war der Saal noch kaum eingerichtet. Zu tun gab es nichts, es fehlte das richtige Material, die entsprechende Person oder sonst etwas. Mir war gar nicht wohl und ich suchte verzweifelt nach einer Beschäftigung, damit ich wenigstens das Gefühl hatte, die Vorbereitungen voranzutreiben.
Eine halbe Stunde vor Türöffnung fehlten Beleuchtung, Wegweiser und Beschriftung. Alle gingen ruhig ihrer Aufgabe nach, nur ich sauste von einem Raum in den anderen und stand kurz vor der Hyperventilation. Immerhin hatte ich es soweit geschafft, dass man mir das nicht mehr anmerkte. Als die ersten Gäste kamen, war gerade mal die Bar einsatzbereit. Aber mehr erwarteten diese wohl auch nicht.
Diese Art von Spontanorganisation macht auch von obersten Rängen nicht halt.
„Los, gehen wir“, forderte mich unser Chef Héctor auf, indem er sich bereits die Jacke überzog und mit einem Fuss im Treppenhaus stand. Kurz zuvor hatte er mich während des Mittagessens nebenbei gefragt, ob ich ihn zur Universität begleitete, wobei ich überhört hatte, dass unser Ausflug noch am selben Tag stattfinden sollte.
Dank meinem eisernen Spontanitätstraining bin ich jedoch inzwischen durch solche Aktionen nicht mehr aus der Ruhe zu bringen. Trotzdem, den mexikanischen Gelassenheitslevel habe ich noch nicht erreicht: Für die Hochzeit besitze ich bereits die gesamte Ausstattung und bin damit Gästen und Brautpaar um Wochen voraus.
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